Türkei
1986 (Çay, Madame?) *
*
Çay = Tee
2 Tage bis Thessaloniki. Rekordzeit. Hintern plattgesessen,
steifer Nacken. Nur 4 Stunden schlecht geschlafen. Hoffen auf Entspannung
in Chalkidiki. Kurze Erfrischung im Mittelmeer, dann 8 Stunden vergebliche
Suche nach schönem Strand. Teddy hängt die Zunge aus dem Hals.
Stimmung wird immer mieser. Julia knatscht. Kassettenrecorder gibt bei "Spiegelei
auf Brot" den Geist auf. Monika geladen wie Feldhaubitze. Trotzdem
am nächsten Morgen weiter Richtung Türkei. Motor stottert, Zündkabel
im Eimer. Vor dem Frühstück Werkstatt in Alexandropolis. Monteur
Marke Gorilla hat viel Zeit, nimmt aber wenig Geld. Monika nimmt wieder
Fahrstellung ein: rechter Arm lässig aus dem Fenster, ausdrucksloses
Gesicht, hin und wieder kurzes Räuspern. Explosion folgt kurz vor der
Türkei. Kaffee eimerweise und die Stimmung steigt wieder. Kassettenrecorder
hat sich auch wieder erholt und hält Julia bei Laune: "Resi, i
hol di mit mei Traktor ab." Teddy hechelt immer noch. Ohne Probleme
über die Grenze. Passport Nr.? Name des Vaters? Stempel. Grüne
Karte? Stempel. Güle, güle! Am selben Tag noch Fähre nach
Çanakkale. Viele nette Kanaken auf der Heimreise. "Urlaub? Türkei
gut? Mannheim? Ich Stuttgart, Mercedes." Und zum ersten Mal: "Çay,
Madame?"
Endlich in Asien. Hochgeschraubte Erwartungen, unterdrückte
Befürchtungen: Fotomotive an jeder Ecke, Traumstrände, 1001 Nacht,
Basar und Taschendiebe, Beschiß und Hektik, Teppich- und Mädchenhändler,
Kamele und Tanzbären. Aber wo ist der Orient? Çanakkale hat
sich in 10 Jahren total verändert. Kein Unterschied mehr zu Griechenland.
Durchschnittliche Hafenstadt, 1000 mal gesehen. Teppichgroßhandel
Im- und Export, Süpermarket, Hypermarket, Gänse und Hühner.
Ein paar verschleierte Weiber machen den Kohl auch nicht fett. Fototasche
bleibt verschlossen.
Mit Vollgas nach Süden. Wo geht´s hier
zur Türkei? Erste Übernachtung in Alibei Adasi. Hier scheint irgendwo
der Hund begraben zu sein. Dreiviertel Stunde Feldweg. Viele deutsche Autokennzeichen,
aber keine Deutschen. Kleiner Campingplatz, Familienbetrieb. Begrüßung
überschwänglich. Überdrehte Gastfreundschaft, ein Hauch von
Türkei. Hier könnte man´s aushalten, wenn der Strand nicht
wäre. Badeschuhe unerläßlich, Wasser alles andere als blau.
Wenigstens mal ohne Autolärm schlafen. Dafür Folklore bis tief
in die Nacht. Lautstärke wie beim Open - Air - Konzert. Abschied wieder
auf türkisch. Die ganze Familie ist angetreten. Vater noch im Schlafanzug.
Händeschütteln und Winken, keine Tränen.
Izmir, bei Nacht unvergleichlich schöner Anblick,
wirkt mehr als abstoßend. Industriegestank, Fenster und Lüftung
schließen. Verdrecktes Meer, Verkehrschaos, kaputte Autos und kaputte
Typen, Cadillac- und Mercedesprotze. Zum ersten Mal das Gefühl, in
Asien zu sein. Hält aber nicht lange an. Kein Platz für Romantik.
Schnell und gut durchgekommen, aufatmen. Ölü Deniz lockt. Schönster
Strand des Landes, meint Merian. Bis dahin viel Kurverei durch schöne
Mittelmeerlandschaft. Keine Lust zum Fotografieren. Alles schon mal in Griechenland
oder anderswo gesehen. Oder verkleistern Hitze und Fahrstress die Augen?
Zeit für ein paar Tage Pause.
Fethiye, nicht mehr weit bis Ölü Deniz.
Poppertypen im Buggy mit Sonnenbrille und Surfbrett überholen uns.
Mir schwant nichts Gutes, deutsche Reklametafeln am Straßenrand. Pizza
und Pommes - frites. In Ölü Rummel wie an der Costa Brava. Camping
voll, Strand eingezäunt. Ohne Geld kein Bad. Eine Bucht weiter wird
es erträglicher. Vorwiegend Türken, entpuppen sich als angenehme
Gesellschaft. Julia verbringt die meiste Zeit mit Türkenfamilie: 10
Jahre Deutschland, Maloche. Jetzt selbständig, Dolmusunternehmen in
Izmir. Haben seltsamerweise gute Erinnerungen an Hamburg. Freuen sich, mit
uns zu sprechen. Çay obligatorisch. Mutter, Mitte 40, Bikini, unverschleiert,
kümmert sich rührend um Julia. Endlich eine Verschnaufpause. Tiefblaues
Meer, schöner Strand, Sonnenschirme und Holzliegen. Wirken im Halbdunkel
wie Skelette. Schlafen mit Meeresrauschen und Grillenzirpen. Am nächsten
Tag Muränen und Haifischflossen. Mulmiges Gefühl beim Schwimmen.
Trotzdem einige Tage Ruhe.
Weiter die Küste entlang, nicht schlecht, reißt
einen aber nicht vom Hocker. Reiseführer empfiehlt Olympos - Nationalpark
mit Campingmöglichkeit. Riesenwegweiser führt zu winziger vergammelter
Bretterbude. Restaurant? Werde mit sanfter Gewalt hineingezerrt. "You
like to eat something?" Appetit vergeht schnell beim Anblick der Küche.
Köfte, leicht grünlich, zum Nachtisch Melone mit Fliegenschiß.
Vielleicht später. Nichts wie raus. Kurzes Bad mit Hindernissen. Riesenkiesel
in fantastischer Landschaft. Kohldampf bis unter beide Arme. 2 Stunden zum
nächsten Zeltplatz mit guter Küche. Turban Motel, 1. Kategorie,
Self - Service - Restaurant. 1 Menu zur Auswahl: Halbkalte Pommes mit Nudeln
und zähem Hammelspieß. Orientalische Raffinesse? Nur Teddy ist
begeistert. Wenigstens guter Sandstrand. Julia kann baden und spielen. Daneben
Szenen wie von Loriot: deutsche Familie, gehobene Mittelklasse, Sonnenbrand,
Schwimmflügel, Alumatte und Nasenschutz. Vater übt surfen, Mutter
versucht kreischend, einen monströsen Plastiksessel, aufblasbar, zu
besteigen. Typisch türkisch?
Zu schnell durch Antalya, keine Lust auf Großstadthektik.
Sind alle ziemlich gebügelt. 30 km vor Alanya Riesencampingplatz. Sieht
sauber aus, nicht überfüllt, viel Schatten. Kann uns nur gut tun.
Touristenghetto. Bildzeitung, Boris Becker, Swimming - Pool mit Kinderbecken,
wahlweise Sitz- oder Stehtoiletten. Keine Neger, die einem Wind zufächern.
Dafür gepflegtes Deutsch: "Guten Morgen, haben gut geschlafen?
Kaffee mit Milch? Limonade oder lieber Tee?" Leider kein Sauerkraut.
4 Tage am Pool. Hunde nicht gestattet. Bitte Füße waschen. Muskelprotze,
Fettbäuche und Edelpunker. Wo sind wir hier eigentlich?
Aufbruch nach Anatolien. Asphaltstraße, aber
kurvenreich. 8 Stunden für 150 km. Stinklangweilig. Dann plötzlich
der Beysehir - See. Wie ein Schlag ins Gesicht. Traumhaft schön
in wahnsinniger Gebirgslandschaft. Mit Badestrand. Aber wohin man sieht,
nur Männer. Monika verkleidet sich freiwillig mit Sonnenbrille und
Kopftuch. Endlich Türkei, kein Tourist weit und breit. Es beginnt zu
regnen, auf der anderen Seeseite bricht die Sonne durch, optimales Licht.
Ich hole sofort den Photoapparat raus, viel Nachholbedarf. Auf der Westseite
sollen Campingmöglichkeiten sein. 17 Uhr, noch 150 km. Straße
wird immer schlechter, Gegend immer verlassener. Von Camping keine Spur.
Dafür Riesenköter, die versuchen, in die Reifen zu beißen.
Es wird langsam dunkel. Am Straßenrand steht Fettwanst mit toter Schlange
in der Hand. Dörfer wie aus dem Mittelalter, noch nie Touristen gesehen.
Männer renken sich vor Neugier fast die Hälse aus. Von Straße
kann nicht mehr die Rede sein. Anatolien pur. Ärmer geht ´s nicht
mehr. Menschen, Hühner, Ziegen, alles unter einem Dach. Fragen alten
Mann nach dem Weg. "Beysehir? Deutsch? Gut! Hindenburg!" Kaum
zu glauben. Mit letztem Licht wieder in Beysehir. Aber auch hier keine Schlafgelegenheit.
Nächste große Stadt: Konya. Nochmal 150 Km im Dunkeln. Mit letzter
Kraft die Augen aufreißen. Plötzlich Verkehrskontrolle. Militärpolizei,
schwer bewaffnet. Dürfen weiter, Tourista. Kurz danach blutverschmierte
Leiche auf der Fahrbahn. Schnell weg hier. Mit flauem Gefühl im Bauch,
aber wieder hellwach bis Konya. Übernachten an Tankstelle. Nur Julia
hat Hunger auf Linsensuppe aus der Dose. Wie erschlagen. Zuviel Türkei
auf einmal.
Schlecht, aber kurz geschlafen. Zu genervt, um Konya
anzusehen. Fahrt nach Göreme durch Steppenlandschaft. Musik von Kinderkassette
paßt wie Faust auf´s Auge: "Links ein Kaktus und rechts
ein Tiergebein." Thermometer zeigt -10 Grad an. Sind wahrscheinlich
+70. Am Horizont leichte Ansätze von Fata Morgana. Hitze benebelt die
Sinne. Trotzdem einige überflüssige Fotos. Zwischenstop in Sultan
Hani Karawanserei. Beine wie Pudding. Zu lange gefahren? Also weiter, bis
der Tank leer ist. Tankwart wäscht unaufgefordert das halbe Auto. Tesekür
ederim, Backschisch, Endspurt. Schneebedeckter Vulkan am Horizont, sehr
verheißungsvolle Gegend. Doch noch Abstecher zum Ilhara - Kirchental.
Kaum Touristen, erste Tuffsteinfelsen mit Storch. Foto unvermeidlich. Bettelnde
Kinder: "Bonbon? Zigarette?" Am Ende der Straße Riesenhotel
mit Parkgebühr und Eintrittsgeld zum Tal. Viele Stufen abwärts,
Beine versagen endgültig. Höhenluft oder Fahrkoller? Lieber wieder
zurück zum Hotel. Was soll´s? "Apfelsaft oder lieber Çay,
Madame?"
Göreme, Attraktion ersten Ranges, schon 1000
- fach fotografiert. Jetzt nicht so wichtig. Hauptsache ausruhen. Kaya Camping
mit Swimming - Pool und Underground - Restaurant. Fest in deutscher Hand.
Bermuda - Shorts, Bierbäuche und Gummilatschen. Chef spricht 5 Sprachen:
"Bonjour, Hello, Bon Giorno, Guten Tag und natürlich Merhaba."
Charmante Anmachertype, aber nicht aufdringlich. Im Morgengrauen kein Ruf
zum Gebet, sondern Reißverschlußzirpen und Raucherhusten. Danach
Kulturbeutelrallye zum saubersten Waschbecken. Pflichtbesichtigungen, Touristenhorden,
Reisebusse, Meisterfotos: Oma auf Esel in Cappadocien. Trotzdem unvergleichliche
Gegend. Lohnt sich, länger zu bleiben. Frühstück in Ürgüp.
Touristennest, Souvenirläden, Teppichhändler. Angenehme Atmosphäre,
fast griechisch. Kebab Salonu, versyphte Küche. Chef erinnert an Jimi
Hendrix, sieht schlecht aus. Koch Typ Schmierlapp, immer total verpennt.
Essen schmeckt nicht schlecht. Niedere Dienste verrichtet Horrorfigur mit
Raffzähnen, schweißgebadet mit roten Gummihandschuhen. Immerhin
Köfte, Chicken Soup und Breakfast mit Ei. Çay wird von älterem
Herren ohne Fingerkuppen serviert. Frankenstein lässt grüßen.
Auch in der Wechselstube mit Parfum und Çay. Dauert eine Ewigkeit.
Atatürk hängt an der Wand und lächelt dazu. 15 Filme in 3
Tagen verschossen. Tolle Stelle für Panoramabild gefunden, etwas überirdisch.
Stimmung auf dem Höhepunkt, die Strapazen haben sich gelohnt. Nach
einer Woche Lust auf neue Überraschungen.
In einem Tag zum schwarzen Meer. 5 Stunden Schotterstraße
durch die Berge. Almen, glückliche Kühe, keine Bären. Wie
in der Schweiz. Sonnenuntergang am Meer in Ünye. Netter Campingplatz,
sprechen Deutsch, Ping - Pong und Volleyball. Kurze Übernachtung, weiter
nach Osten. Landschaftlicher Höhepunkt einer Türkeireise? Alles
ziemlich verschandelt, viel Industrie und Dreck. Nicht sehr anheimelnd.
Ein 7. Sinn sagt zurück nach Ünye. Am nächsten Morgen wie
aus heiterem Himmel Durchfall, 40 Fieber. 2 Tage ohne Zeitgefühl, Bauchkrämpfe.
Arzt spricht deutsch: "alle 6 Stunden ein Kapsülü."
Camping - Chef, netter Typ, besorgt Alfasilin. "Wie geht´s? Besser?"
Langsam wieder klarer im Kopf. Julia hat auch Durchmarsch, aber kein Fieber.
Monika, offensichtlich immun, versorgt mich bestens. Fieber sinkt, trotzdem
noch Bauchschmerzen, kann kaum laufen. Gute Umgebung zum Erholen. Idyllischer
Blick aus dem Auto. Strand mit Gartenrestaurant. Dahinter donnern LKW´s
über die Piste. Dieselgestank und Thymianduft, Meeresrauschen und Motorenlärm.
Julia spielt mit Türkenkindern, Monika schmeißt den Laden. Wieder
halbwegs fit durch Alfasilin, Ping - Pong und Volleyball. Aber Julia will
noch nicht weiter. Lieber Kellner ärgern. "Blödmann und Schweinchen"
verstehen gottlob kein Deutsch. Nochmal 3 Tage Volleyball mit Türken.
Anschließend Bier und Kauderwelsch: "Ich Mustafa and you?"
Abends Köfte und original türkische Musik. Sohn des Chefs spielt
Keyboard und singt dazu, als hätte er meine Bauchkrämpfe. Alles
zum vollautomatischen Sambarhythmus. Vater jammert auch. Möchte zurück
nach Deutschland. Ist nie ausgeschlafen. Muß auf´s Geld aufpassen.
"Do you like to dance?" Lieber ins Bett. "Raki?" Danke,
nein.
Dann doch weiter nach Osten. Ünye in guter Erinnerung,
bis auf die vielbenutzten Toiletten. Gummistiefel und Nasenschutz unerläßlich.
Schwarzmeerküste wirkt diesmal etwas freundlicher. Weiße Wolken,
blauer Himmel, schwarzer Rauch aus Teefabriken. Übernachten kurz vor
Hopa, nicht mehr weit bis zur russischen Grenze. Hier Raki verboten, dafür
viel Militär erlaubt. Hos geldiniz! Flaues Gefühl im Bauch, am
nächsten Morgen wieder Dünnschiß. Noch kein Fieber, also
schnell weiter. Stimmung sinkt auf den Nullpunkt, kein Platz mehr für
positive Gedanken. Je weiter östlich, desto unfreundlicher wirkt alles.
Überall wo Menschen sind, nur Dreck und Syph. Gesichter wie aus dem
Horrorfilm. Schnell volltanken, Bleifuß auf ´s Gaspedal. In
Erzurum soll Campingplatz sein. Mit letzter Kraft durch traumhafte Bergwelt.
Am Straßenrand die obligatorischen Gestalten, mit oder ohne Sense.
Glotzen ausdruckslos in die Gegend, spucken auf die Straße oder kratzen
sich den Sack. Wieder Schotterstraße. Zuviel Natur, nicht mehr aufnahmefähig.
Auf dem Zahnfleisch nach Erzurum BP - Mocamp, an Schönheit nicht zu
überbieten. Stoppelfeld in praller Sonne. Mülltonnen vorhanden,
aber überfüllt. 1000 fette Fliegen, 10 Perser auf der Durchreise,
2 kaputte Motorradakrobaten. Tankwart mit Gangstervisage: "Camping?
No Problem!" Fließend Wasser, nur nicht auf den Toiletten. Die
Scheiße schwimmt uns schon an der Tür entgegen. Letzte Rettung:
Büyük Erzurum Hoteli, 2 Sterne. "Rooms? No Problem! Dog?
Impossible!" Teddy im Auto? 60 Grad, unmöglich. Fieber steigt
wieder, Alfasilin muss her. Apotheke, Stadtmitte, Verkehrschaos. Mann ohne
Beine schiebt sich auf Holzbrett mit Rollen durch die Autos. Keine Lust
auf Fotos. Raus aus Erzurum. In 2 Stunden wird´s dunkel. Nochmal tanken,
essen, Çay. Vielleicht an der Tankstelle schlafen? Letzte Zweifel
werden schnell beseitigt. Monika wird von halbwüchsigen Rotzlöffel
auf die Toilette verfolgt. Tesekür ederim, güle güle. Nächste
Stadt Erzincan. Reiseführer empfiehlt im Notfall Übernachtung
vor Militär- oder Polizeistation.
12. Bölge Müdürlügü, Erzincan,
Trafic Police. Auf den ersten Blick nette Bullen. Kurze Debatte. "Sleeping?
No Problem! Come in, park here." Händeschütteln, freundliche
Begrüßung. Fix und fertig, endlich schlafen? Dann Schichtwechsel.
Werden begutachtet wie Affen im Zoo, weiterfahren unmöglich. Wachhabender
Offizier, Gesicht zum Reinschlagen, heißt uns willkommen: "3
persons? Mann? Frau????, Kind?" Wieder Händeschütteln und
Einladung zum Tee: "Çay, Monsieur?" Keine Widerrede, Finger
an Maschinenpistole. Teddy kläfft. Rein in die Höhle des Löwen.
Ein netter Müdürlügü spricht englisch, drei andere sind
schwer einzuschätzen. Und mein Freund. Endloses deutsch - englisch
- türkisches Gelabere mit Adressenaustauschen. Wollen mich nicht gehen
lassen. Çay, Çay und nochmals Çay. Stimmung wird
langsam bedrohlich. Debatten auf türkisch. Mein spezieller Freund dreht
das Radio lauter und verschwindet unauffällig. Hat offensichtlich was
mit Monika vor. Stehle mich in günstigem Augenblick davon. Draußen
laufe ich ihm in die Arme. "Good night, tesekür ederim."
Schnell zum Auto. Das Ferkel hat sich inzwischen an Monika rangemacht. "Çay,
Madame?" Konnte seine Finger nicht bei sich behalten. Monika hat sich
inzwischen im Auto eingeschlossen. Er gibt nicht auf, schleicht ständig
um´s Auto. Dann plötzlich 10 Müdürlügüs,
klopfen an´s Fenster. "Here no sleeping, follow this car!"
Zivilstreife, schwarze Limousine wie aus Hitchcock - Film. Keine Wahl, bringen
uns zum Hauptquartier. Bruchbude, sieht aus wie Folterkammer. Daneben Kasernengelände,
finstere Gegend. "Sleep here, no problem!" Können nicht so
recht daran glauben. Bullen schleichen wieder um´s Auto, aber mit
mehr Abstand. Lassen uns in Ruhe. Schlafen? Nur einige kurze Albträume.
Dann endlich im Morgengrauen der Ruf des Muedsin über Lautsprecher
mit viel Hall und Echo. Gespenstisch. Schichtwechsel, die Gelegenheit! Sofort
hinter´s Lenkrad und Vollgas. Raus aus dem Osten. 500 km vor dem Frühstück.
13 Uhr in Ürgüp. Hendrix und Schmierlapp
begrüßen uns wie alte Freunde. Wieder "Çay, Madame?"
Diesmal anders. Kaya Camping nicht mehr fest in deutscher Hand. Viele Franzosen,
noch mehr Italiener. Mit riesigen Reisemobilen, chemische Toilette und Fernseher,
aber ohne schlechtes Gewissen durch Anatolien. Ansonsten alles beim alten.
Gott sei Dank auch die Scheißhäuser. Werden alle paar Stunden
von smartem Typen, immer in feiner grauer Hose und Weste, gereinigt. Trotzdem
überall Durchfallspuren. Egal, sind Schlimmeres gewöhnt. Auch
das Wasser im Pool wird von Tag zu Tag öliger. Täglich ein Fläschchen
Chlor ersetzt den Wasserwechsel. Für türkische Verhältnisse
first class. Keine Lust zum Weiterfahren, erst mal gründlich erholen.
Täglich Frühstück in Ürgüp.
Fühlen uns fast wie zu Hause. Service im Kebab Salonu wird immer besser.
"Boiled eggs? 1 Minute, 2 Minute, 3 Minute?...." Wir bestehen
auf 5 Minuten. Eier trotzdem schlabberig. Löffel werden vom Tee - Salon
besorgt. Endlich alle Viere von sich strecken. Kleinere Zwischenfälle
werden mit Heiterkeit registriert: ca. 70 - jähriger Toilettenwärter
will die Gunst der Stunde nutzen und Monika küssen. Versuch scheitert.
Später gelingt es 10 - jährigem Jungen, ihr an die Titten zu grabschen.
Überraschungsangriff! Was soll´s? Etwas nervender wird ein Busfahrer,
dessen Freundlichkeit man nicht entgehen kann. Spendiert Çay, spricht
gut deutsch, verschiebt Teppiche nach Deutschland, kauft Schokolade für
Julia, verabredet sich mit ihr zum Schwimmen. Am nächsten Tag Einladung
zum Hammelessen: "Bitte kommen, möchte meine kleine Tochter sehen."
Seine drei gelben Zähne machen ihn nicht sehr vertrauenerweckend. "Heute
meine Gäste, Raki trinken, nix Campingplatz, bei mir schlafen."???
Wir gehen nicht hin. Er wird ´s überleben. Nach 2 Wochen keine
Böcke mehr auf Breakfast mit Ei und Kaya Camping. Noch ein paar unvermeidliche
Einkäufe, kein Teppich. Dann Richtung Westen nach Pamukkale. 10 Stunden
mittelmäßige Straße mit Kamikazefahrern und Frontalzusammenstoß.
PKW zerquetscht wie alte Konservendose. Reisebus 500 m weiter im Graben.
Kein Krankenwagen, aber Linienbus, der unverletzte Fahrgäste aufnimmt.
Allah il Allah.
Pamukkale. Sinterterassen, einmalig in der Welt. Thermalquellen,
stinkende Brühe mit Absperrventil, das tagsüber für Touristenschwärme
geöffnet wird. Rummelplatzatmosphäre. Fotos nur frühmorgens
oder spätabends. Camping überfüllt, bleibt nur das beste
Hotel am Platz. Doppelzimmer 100 DM, mit Hund. Nicht sauber, aber schattig.
2 Meter bis zum Swimming - Pool. Wasser, 38 Grad, soll gesund sein, bringt
aber keine Abkühlung. Schwimmen bei Nacht, ohne Muränen und Haifischflossen,
unvergleichliches Erlebnis. Mehr als 2 Tage sind nicht drin. Keine Mark
mehr auf der Bank. Lieber nochmal an ´s Mittelmeer.
Ortseinfahrt Kusadasi. Hinweisschild, leuchtend rot:
Chinarestaurant 2 km. Endlich Abwechslung. Hot and sour soup statt warmer
und labberiger Corba, Ente mit Ananas statt zähem Hammel. Es lebe der
Tourismus. Mit vollem Bauch, aber leerem Kopf nach Çesme. Wieder
eine positive Überraschung. Fast alles noch wie vor 10 Jahren. Nicht
mehr ganz so baufällig, aber auch keine neuen Hotelburgen. Naturschutz
oder Geldmangel? Insgesamt ein ganz nettes Nest. Griechenland ist nicht
weit. Doch auch hier kleine Einlagen aus dem Horrorkabinett, natürlich
beim Frühstück. Eier werden mit großem Geschick trotz Schüttellähmung
zubereitet. Auf der Theke steht zwischen Cola und Fanta ein Fläschchen
Antidurchfallsaft. Guten Appetit. Bleiben trotzdem ein paar Tage auf gepflegtem
Campingplatz unter deutsch - türkischer Leitung. Sauberkeit in der
Küche, Syph auf den Toiletten. "Wasser ist knapp, bitte sparsam
verwenden!" Künstlicher Sandstrand endet 1 Meter vor dem Wasser.
Danach Kiesel mit Seeigel. Hauptsache gutes Essen und Kinder mit Barbiepuppen.
Letzte Etappe. Bursa BP - Mocamp liegt im Industriegebiet.
Luft riecht nach faulen Eiern. Heimatgefühle? Nicht in Bursa. Diese
Stadt bietet alles, was in der Türkei möglich ist, auf engstem
Raum: Verkehrslärm, Folklore, Abgase, Naturpark, Rummelplatz, verschleierte
Weiber, Modepuppen, Goldschmiedeläden, Bettler, Gauner, seltsame Heilige,
prächtige Moscheen, Bruchbuden, überquellende Mülltonnen,
piekfeine Einkaufsstraßen, wunderbare Teppiche und Touristenkitsch.
Nach 3 Tagen Füße wund- und Kamera heißgelaufen. Totale
Reizüberflutung. Leichte Schlafstörungen, urlaubsreif. Lust auf
Schlachtplatte mit fettem Schweinefleisch und Sauerkraut, deutsche Autobahnen
mit Nebel und Regen, Fußball und Bier, Fernsehen und Filzpantoffeln.
1 Tag bis Alexandropolis, erster Campingplatz nach
der türkischen Grenze. In der Rezeption liegt ein Gästebuch.
Letzte Eintragung: "Es lebe Griechenland"
(Sabine)